Volkstrauertag 20. 11. 2022, Ortsvorsteherin Gisela Buschmeier
Sehr geehrte Gäste der heutigen Gedenkfeier, liebe Scharmeder und Scharmederinnen, liebe Kameraden, Schützenbrüder, Musiker und Musikerinnen!
Heute stehen wir wieder hier am Ehrenmal, um der im Ersten und Zweiten Weltkrieg gefallenen Männern aus unserem Dorf zu gedenken, aber auch dem Leid der Überlebenden, der Vertriebenen und Geflüchteten, das damit verbunden war.
Das Motto des heutigen Volkstrauertages lautet: Gemeinsam für den Frieden!
Was Frieden bedeutet, haben wir Nachkriegskinder nun schon zwei Generationen hintereinander erlebt. Frieden ist die Abwesenheit von Krieg.
Um dem Frieden mehr Stabilität nach dem grausamen Zweiten Weltkrieg zu geben, haben sich 1952 sechs europäische Staaten zu einer Wirtschafts-gemeinschaft zusammengeschlossen. Diese Gemeinschaft, inzwischen auf 28 Mitgliedsstaaten angewachsen, beschreibt die Ziele für ein friedliches Miteinander.
Die Werte, auf die sich diese Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte.
Mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ist jedoch über Nacht die Gewissheit über unsere Sicherheit und Friedensordnung zusammengebrochen.
Was Krieg bedeutet, ist den Älteren von uns sehr wohl bekannt. Wir wissen, welche Folgen ein Angriffskrieg hat, welch ein Zivilisationsbruch und welch ein Trauma damit verbunden sind.
Aus dem Zweiten Weltkrieg ruhen allein in der Ukraine an die 170 000 deutsche Kriegstote und mindestens genauso viele werden heute noch vermisst. Bei den sowjetischen Kriegstoten gehen die Zahlen in die Millionen. Viele ukrainische Frauen und Männer wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Was hatten sie hier zu leisten? Waren sie auch in Scharmede?
Natürlich! Einige mussten in der Landwirtschaft schwere Arbeit verrichten, darunter auch viele Frauen. Mir wurde berichtet von Frauen, die das Gleisbett der Reichsbahn in Scharmede zu bearbeiten hatten. Mit Schüppen und Jutestrümpfen an den Füßen standen sie unter Aufsicht eines bewaffneten Mannes zur Winterszeit an den Scharmeder Schienen.
Diese ukrainischen Frauen hatten auch Apfelbäume auf dem uns bekannten Ziegenberg zu pflanzen, dem aufgeschütteten Erdhügel am Delbrücker Weg.
Fünf Bäume, vom Alter der 80 Jahre geprägt, trugen auch in diesem trockenen Sommer wieder wunderschöne Äpfel.
Einen davon habe ich hier in der Hand!
Und heute: Heute können wir einigen aus der Ukraine geflüchteten Frauen, Kindern und Männern vorübergehend eine Wohnung in Scharmede bieten.
Wir können Pioniere und Pionierinnen eines Miteinanders sein, das unsere demokratische Grundordnung einfordert und im Grundgesetz verankert ist.
In unseren Bildungseinrichtungen sind wir präventiv tätig, machen Gewaltprävention in Sportvereinen und bieten professionelle Hilfen an.
Und doch, wenn wir den Blick weiten, erkennen wir, dass weltweit pausenlos Kriege geführt werden, dass mit kriegerischer Gewalt Politik gemacht wird, dass der Krieg sich kulturell verankert hat.
Täglich werden wir mit der Brutalität von Putin konfrontiert, sehen die furchtbare Gewalt gegen Frauen im Iran und sorgen uns um die Ein-Mann-Politik in China.
Diese toxische Männlichkeit trifft auf die positive Energie, die Männer und Frauen in demokratischen Staaten zeigen und leben können.
Wir sprechen von Friedenspolitik, gehen auf die Straße zum Demonstrieren, unterstützen Menschen in der Ukraine und treffen uns zu Friedenskongressen und Gebeten.
Der Dalai Lama hofft auf uns Frauen, als er 2009 beim Friedenskongress sagte:
„Die Welt wird durch die westliche Frau gerettet werden“! Das ist ein hoher Anspruch an uns Frauen!
Die Vereinten Nationen rufen Gott um Hilfe: „Damit unsere Kinder und Kindeskinder einst mit Stolz den Namen Mensch tragen können.“
Wir wissen, dass nur im Frieden zwischen den Geschlechtern und den Religionen, im Dialog auf Augenhöhe, mehr Balance in unserem Miteinander sein wird!
Die Mitwirkung daran ist unsere gesellschaftsrelevante Aufgabe auch hier in unserem Dorf, hier in Scharmede!
Der Apfel kann uns ein Symbol sein, uns erinnern, was damals vor 80 Jahren ukrainische Frauen unter widrigen Umständen für uns geleistet haben.
Der Apfel macht deutlich, dass nur im Zusammenspiel von Himmel und Erde wunderbare Früchte entstehen, die uns nähren und stärken.
Wir stehen in der Verantwortung für unsere nachfolgenden Generationen. Wir können daran positiv mitwirken, so wie der Liedermacher Reinhard Mey es in seinem Song zur Geburt seines ersten Kindes besingt: Darin heißt es:
Du bist das Apfelbäumchen, das ich pflanz
Sieh dich um, nun bist du ein Teil der Welt,
die sich selbst immerfort in Frage stellt
Wo Menschen ihren Lebensraum zerstör`n
Beharrlich jede Warnung überhörn
Ein Ort der Kriege, ein Ort voller Leid
Wo Menschen nichts mehr fehlt, als Menschlichkeit
Es sind in einer Welt, die ziel- und ratlos treibt
Die Kinder doch die einz`ge Hoffnung, die uns bleibt
Wenn alle Hoffnungen verdorr`n
Mit dir beginn ich ganz von vorn
Und Unerreichbares erreichen, ja ich kann`s
Du bist das Apfelbäumchen, das ich pflanz!
In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen friedlichen Volkstrauertag!!